Xavier Bettel: Ein europäischer Visionär beim IHK-Jahresempfang

Aus der IHKXavier Bettel: Ein europäischer Visionär beim IHK-Jahresempfang

Text: Alexandra von Hirschfeld, Foto: Meike Schrömbgens, Melanie Zanin, Wilfried Meyer
Es ist ein Abend voller offizieller Grußworte, freundlicher Händedrücke und netzwerkender Geschäftsleute beim IHK-Jahresempfang 2025. Rund 1.300 Gäste aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung sind gekommen – und dann betritt Xavier Bettel, Außenminister und Vize-Premierminister des Großherzogtums Luxemburg, die Bühne. Eigentlich hatte er einen vorbereiteten Redezettel dabei – doch dieser wird schnell zur Seite geschoben. „Wissen Sie, ich hatte eine Rede vorbereitet, aber ich glaube, die interessiert heute Abend keinen so richtig“, sagt er augenzwinkernd. Gelächter im Saal. Dann legt er los – freimütig, pointiert, mitreißend. Was folgt, ist ein leidenschaftliches Plädoyer für Europa, gewürzt mit Humor, Selbstironie und einer Prise luxemburgischem Charme.

Mitreißender Gastredner: Außenminister und Vize-Premierminister des Großherzogtums Luxemburg Xavier Bettel

Bettel spricht Klartext über die Herausforderungen der EU, ohne in Pessimismus zu verfallen. „Wir Europäer lieben es, uns selbst schlechtzureden – wir sollten mal damit aufhören!“, ruft er in den Saal und erntet Applaus. Seine pointierten Anekdoten, seine klaren Worte und sein ehrlicher Blick auf die Zukunft Europas begeistert die Zuhörer. Doch hinter den launigen Bemerkungen steckt eine ernste Botschaft: Europa steht an einem Scheideweg. „Wir haben zwei Optionen: Entweder wir handeln gemeinsam oder wir verlieren unsere Bedeutung in der Welt.“ Bettel plädiert für mehr Zusammenarbeit, weniger nationale Egoismen und eine strategische Weiterentwicklung der EU.

Aufruf zu mehr Kooperation

Bettel betrachtet Europa nicht nur als Wirtschaftsunion, sondern als eine Gemeinschaft, die ihre Zukunft nur durch mehr Kooperation sichern kann. Europa sollte strategisch noch enger zusammenwachsen und den Binnenmarkt weiter vertiefen. „Europa muss gemeinsam stehen, um in der heutigen Welt eine Chance zu haben. Die außenpolitischen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit können nur im europäischen Verbund bewältigt werden.“ Mit dieser klaren Haltung tritt er gegen den wachsenden Nationalismus an, der in vielen EU-Mitgliedstaaten um sich greift. „Es braucht Mut“, betont Bettel, „um diesen Weg noch gemeinsamer als heute zu gehen.“

Digitalisierung und Innovation als Zukunftsstrategie

Als überzeugter Modernisierer setzt sich Bettel für ein digital starkes Europa ein. Seiner Meinung nach müsse die EU in Forschung und Technologie investieren, um nicht nur mitzuhalten, sondern eine führende Rolle im globalen Wettbewerb einzunehmen: „Forschung und Innovation müssen gefördert, mutige Unternehmer belohnt und ausreichende Finanzmittel bereitgestellt werden.“ Bettel sieht einen klaren Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Zukunftsfähigkeit und einem weltoffenen Europa. Ein entscheidender Faktor sei dabei auch eine offene Migrationspolitik, die talentierte Fachkräfte nach Europa zieht.

Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verteidigen

Bettel ist sich bewusst, dass die Demokratie in vielen Teilen Europas unter Druck steht. Doch wie begegnet man autoritären Tendenzen innerhalb der EU, ohne als übergriffig wahrgenommen zu werden? Sein Rezept: Geduld, stetiger Dialog und Beharrlichkeit. „Wir müssen der unterschiedlichen Geschichte unserer 27 Mitgliedsstaaten Rechnung tragen. Manche von uns konnten die EU von Anfang an mitzugestalten, andere nicht.“ Er betont, dass die Europäische Union eine Wertegemeinschaft sei, die auf Rechtsstaatlichkeit basiert – und dass diese Prinzipien nicht zur Verhandlung stehen dürften.

Xavier Bettel, Außenminister und Vize-Premierminister des Großherzogtums Luxemburg, mit seiner Delegation

Zwischen nationaler Souveränität und europäischer Integration

Die Diskussion über das richtige Gleichgewicht zwischen europäischer Integration und nationaler Souveränität in der Sicherheitspolitik, der Wirtschaft oder der Energieversorgung ist für Bettel „nichts neues“, er sieht das pragmatisch. „Die EU sollte dort stark sein, wo sie den größten Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger schafft. Spontan sehe ich hier das Schengen-Abkommen oder in der Verteidigung beispielsweise eine europäische Raketenabwehr im Zusammenspiel mit der NATO.“ Dabei unterstreicht Bettel, dass diese Themen nicht ausschließlich auf EU-Ebene geregelt werden sollten, denn die Umsetzung bleibe ja auch eine nationale Verantwortung.

Europa und die junge Generation

Dass junge Menschen sich von der europäischen Politik nicht ausreichend repräsentiert fühlen, sieht Bettel nicht nur als Defizit, sondern auch als Folge der Selbstverständlichkeit, mit der die jüngere Generation in einem vereinten Europa aufwächst. „Viele junge Europäer haben die europäische DNA bereits so tief verinnerlicht, dass ihnen gar nicht bewusst ist, wie viel die EU in ihrem Alltag ermöglicht. Wie würde das Reisen innerhalb Europas ohne die EU aussehen? Zum Beispiel von Düsseldorf nach Paris ohne die Vorteile der Freizügigkeit und der Visafreiheit.“ Er plädiert dafür, Programme wie Erasmus weiter auszubauen. Denn für ihn bedeutet Erasmus nicht nur akademischen Austausch, sondern auch die Stärkung einer gemeinsamen europäischen Identität.

Ein Politiker, der Europa gestalten will

Xavier Bettel ist mehr als nur ein überzeugter Europäer – er ist ein Pragmatiker mit Weitblick. Er fordert Mut zur Innovation, strategische Autonomie in Schlüsselbereichen und eine stärkere Zusammenarbeit innerhalb der EU. Mit seinem klaren Bekenntnis zur europäischen Integration, seiner humorvollen Art und seinem tiefen Verständnis für die Herausforderungen unserer Zeit gehört Bettel zu denjenigen Politikern, die Europa nicht nur verwalten, sondern aktiv gestalten wollen. Sein Appell an die politischen Akteure Europas könnte kaum deutlicher sein: „Es ist Zeit, dass wir uns klug vernetzen, mutig agieren und als Europäer unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen.“


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