Stadtteilfaktor Büdchen

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Text: Dagmar Haas-Pilwat, Fotos: Andreas Endermann
Um vier Uhr früh haben Melanie und Markus da Mota Ribeiro mit dem Aufbau der Stände angefangen und noch vor dem offiziellen Beginn des Düsseldorfer Büdchentags um 14 Uhr war die Bude bereits voll, die Sitzplätze draußen alle belegt. Gegen Nachmittag waren die Aperol-Bestände geleert, die Grillwürstchen gingen weg wie die sprichwörtlich warmen Semmeln. Das Paar betreibt seit anderthalb Jahren einen Kiosk im Stadtteil Pempelfort. Dort sind sie täglich und das sieben Tage die Woche abwechselnd von 6 bis 22 Uhr im Einsatz. 

Die Großhandelskauffrau ist sogar in diesem Büdchen großgeworden, denn ihre Eltern haben es 30 Jahre lang geführt. Geblieben ist die familiäre Atmosphäre, auch wenn die Jungen inzwischen einiges anders machen. „Während meine Eltern niemals im Urlaub waren, hatten wir dieses Jahr erstmals wegen Betriebsferien geschlossen“, erzählt die 36-Jährige. Doch so ganz ohne Büdchen waren die Ferien nicht: „Jeden Tag haben wir Fotos und Nachrichten aus der Nachbarschaft bekommen. Wir sollten uns keine Sorgen machen, alle hätten ein Auge auf den Laden. Hier passt jeder auf den anderen auf“, sagt Melanie da Mota Ribeiro sichtlich gerührt. 

40 Kioske waren beim siebten Düsseldorfer Büdchentag dabei - und zeigten, welche Bedeutung die Büdchen als Stadtteilfaktor haben.
Melanie und Markus da Mona Ribeiro

Keine Frage, dass die Ribeiros auch beim siebten Düsseldorfer Büdchentag mit von der Partie waren und sich wie die übrigen 39 Teilnehmer ein Programm überlegt haben. Es gab Live-Musik und DJ’s, Essen aus aller Welt, Aktionen und Zaubertheater für Kinder, ein Handwerkermarkt, Techno mit Rheinblick und natürlich jede Menge gemischter Tüten – ein Mix aus Süßigkeiten, der einst zehn Pfennig gekostet hat.

„Büdchen, wie der Kiosk liebevoll im Rheinland genannt wird, sind wichtige Treffpunkte in der Nachbarschaft, sie sind oft das Gesicht eines Stadtteils. Gerade in einer Großstadt wie Düsseldorf sind sie soziale Anlaufstellen. Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kulturen und Religionen begegnen sich, einfach so‘“, erklärt Marion Hörsken, IHK-Geschäftsführerin im Bereich Branchenbetreuung und ergänzt: „Es ist eine großartige Initiative, dass der Büdchentag als Gemeinschaftsaktion diese Orte feiert, die die Stadt so besonders machen“.

„Büdchen sind oft das Gesicht eines Stadtteils.“

Marion Hörsken, IHK-Geschäftsführerin im Bereich Branchenbetreuung

Der Wert und die kulturelle Bedeutung solcher Büdchen könne nicht hoch geschätzt werden, sie spiegelten die Vielfalt Düsseldorfs wider und seien unverzichtbar, betonte Oberbürgermeister Stephan Keller. Er war zum ersten Mal dabei und besuchte bei einem Spaziergang durch Oberbilk – dem Epizentrum der Trinkhallen – einige von ihnen. Darunter das „Sonneneck“ am Bahndamm, das Hoseyin Barisik vor elf Monaten übernommen hat. Der 26-jährige hatte eigentlich den Plan, ein Restaurant zu eröffnen, doch dann lockte der Kiosk an der Sonnenstraße. 

Das Sonneneck, hell und freundlich bietet alles, was man im Alltag braucht – von der Zeitung und der Milch bis zu den Chips, von der Tiefkühlpizza und der Limo bis zum Plausch bei einem Kaffee. „Und das Schöne ist, wir sind ein Familienbetrieb“, erzählt der Jungunternehmer. An jedem Wochenende reisen seine Eltern und Schwester Havin (die 17-Jährige geht aufs Gymnasium) aus Wermelskirchen an und packen mit an. Da der 26-Jährige in seiner Wohnung direkt über dem Kiosk genug Platz hat, können alle in Düsseldorf übernachten. 

Für den Oberbürgermeister war dieses Treffen gleichsam eine Zeitreise in seine eigene Vergangenheit: Denn 1998/99 während seines Studiums hat er auch an der Sonnenstraße im ersten Stock mit Blick über 17 Bahngleise gewohnt. Damals war dort statt Kiosk ein Laden, in dem man Telefonkarten für die ersten Handys kaufen konnte. 
Dem 2020 ins Leben gerufenen Verein Düsseldorfer Büdchentag ist es erneut gelungen, ein Fest für die Nachbarschaften – umsonst und draußen – zu organisieren und hat mit seinem Konzept den Nerv vieler Menschen getroffen. Dass die Büdchen – vielfältig und offen für alle – sich zu ihren Feiertag etwas Besonderes überlegen, sei immer mehr der Fall, sagt Mitorganisator Clemens Henle. 

IHK-Geschäftsführerin Marion Hörsken beschreibt „Büdchenbesitzer und -besitzerinnen als wichtige Akteure im Ökosystem eines Stadtteils und für dessen Entwicklung. Als fester Bestandteil der lokalen Kultur und Tradition tragen sie zur Identität und zum Charakter der Nachbarschaft bei. Idealerweise profitieren die Betreibenden  als Unternehmer und Unternehmerinnen, indem sie sich mit anderen lokalen Firmen, Kunstschaffenden und Organisationen vernetzen.“

Düsseldorfweit gibt es etwa 600 Kioske. Die ersten entstanden während der industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts, sie sollten – deswegen der Name Trinkhalle – Zugang zu sauberem Trinkwasser sicherstellen. Auch wenn die Kultur sich wandelt, sei jedes einzelne Büdchen in seiner Art sympathisch, sagt Hans Onkelbach. Für ihn und Christian Herrendorf, beideMitgründer und Geschäftsführer des Nachrichten Online Portals VierNull Media, ist „das Büdchen Kindheitserinnerung, der Retter in der Not, das nette Gespräch zwischendurch, der kurze Stopp auf dem Weg zur Arbeit und ein Stück Heimat.“ Das Redaktionsfenster in ihrem Innenhof an der Nordstraße war Namensgeber der regelmäßig veranstalteten Büdchenabende für Leser und Interessierte. Daraus wurde die Teilnahme am Büdchentag mit einem Repertoire aus True-Crime-Geschichten, Einblicken in den Redaktionsalltag, gebratenen Maultaschen und vielen gemischten Tüten. 


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