Text: Isabel Klaas, Fotos: Anna Schwartz
Mettmann Jedes dritte Ladenlokal ein Leerstand. Jeder zweite Gastronom in Konkurs, so dass auch die wenigen Corona-Überlebenden um ihre Existenz bangen müssen. Die Folge: tote Innenstädte. Ein Horror-Szenario, das sich weder Haan noch Hilden noch Heiligenhaus für ihr Stadtzentrum wünschen. Die IHK suchte während ihres 15. Wirtschaftsforums unter dem Titel „Die Innenstadt der Zukunft – mit gemeinsamem Engagement voran“ mit Experten nach Lösungen für die Kleinstädte und Mittelzentren im Kreis Mettmann. Das Interesse der Gewerbetreibenden und Gastronomen in der Disco Golden K. in Mettmann war groß.
Erholungstendenzen bemerkbar
„Erholungstendenzen“ seien bemerkbar, machte Ralf Burmester, Vizepräsident der IHK Düsseldorf, zum Auftakt ein bisschen Mut. „Aber die Rolle des Einzelhandels bröckelt“, bekannte er ehrlich. Ähnlich äußerte sich Dr. Jan Heinisch, Staatssekretär im Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen und von 2004 bis 2017 Bürgermeister der Stadt Heiligenhaus: „Es wird weiterhin Handel geben, aber weniger als früher“, erklärte er. Immobilienmakler Steffen Heuchert von Expandion Immobilienconsulting in Velbert stellte klar: „Viele kleine Städte werden in Zukunft keine Fußgängerzone mehr haben.“
„Viele kleine Städte werden in Zukunft keine Fußgängerzone mehr haben“
Steffen Heuchert, Expandion Immobilienconsulting
Die Pandemie und die zunehmende Digitalisierung hätten das Kaufverhalten der Menschen verändert. Amazon mache allein in der Bundesrepublik 28 Milliarden Euro Umsatz im Jahr, führte Landrat Thomas Hendele plastisch vor Augen: „Während Corona lag fast alles brach, nur der Online-Handel nicht.“ Die Abkehr vom praktischen Online-Kauf fällt offenbar vielen schwer. Es sei denn, neue Strukturen und Angebote locken. Hendele beispielweise stellte fest, der verkaufsoffene Sonntag vor wenigen Wochen in Hilden sei ein absoluter Renner gewesen. Ganz wichtig sei auch die Präsenz des niedergelassenen Handels im Internet, erklärte Elke Böttcher von der Buchhandlung Bolland & Böttcher in Düsseldorf. Das Internet könne oft ein Anreiz zum Besuch vor Ort sein, deshalb sei sie auch auf Facebook und Twitter vertreten.
Das Land gibt 100 Millionen Euro für den Erhalt der Innenstädte
Geld für die Belebung und Verschönerung der Innenstädte ist offenbar genug da. 100 Millionen Euro hat das Land NRW für den Erhalt seiner Innenstädte nach der Pandemie zur Verfügung gestellt. „Der Bedarf ist groß, auch in den Metropolen“, so Heinisch. Trotzdem lief der Abruf der Mittel eher stotternd an. Denn wer Unterstützung beantragt, muss auch sagen, wie er sie verwendet, und zwar nachhaltig. Personal für Leerstands- und Citymanagement, Mietzuschüsse oder Geld für Ladenumbauten, Digitalisierungshilfen, Begrünung der Städte, Bäume in Kübeln, Zwischennutzungen von Immobilien, damit sie nicht leer stehen, Untervermietungen, temporär ein Kunstwerk irgendwo aufstellen, Kinderbetreuung in der Stadt einrichten, damit die Eltern in Ruhe shoppen können, Pop-Up-Stores, die vorübergehend leere Schaufester füllen – all das ist möglich. Aber offenbar nicht immer leicht umzusetzen.
„Die Städte sind es nicht gewohnt, flexibel und schnell zu agieren“
Bernd Tischler, Oberbürgermeister der Stadt Bottrop
Bernd Tischler, Oberbürgermeister der Stadt Bottrop, die als nachhaltigste Stadt Deutschlands im Bereich Klimaschutz und Wirtschaft gilt, erklärte, wo es beim Wandel hakt: „Die Städte sind es nicht gewohnt, flexibel und schnell zu agieren.“ Damit meinte er die Verwaltungen. Oft dauerten Umnutzungen von Räumen viel zu lang. Tischler, Oberhaupt von 120.000 Einwohnern, erklärte, was seine Innenstadt attraktiv macht und wie sie sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Centro in Oberhausen behauptet: „Vom veganen Supermarkt über den kleinen Handwerker bis zu einer Mini-Hochschul-Filiale haben wir alles da“, sagte er. Ein Unverpackt-Laden mit Café oder Handwerker mit Ausstellungsraum, die darüber noch wohnen könnten, sorgten für Leben.
Keine große Hilfe seien Outlets großer Firmen, die öffentliche Gelder in Anspruch nähmen, von denen man aber schon heute wisse, dass sie in zwei Jahren wieder weg seien, weil der Standort eigentlich nicht ihren Anforderungen entspräche. „Diesen puren Mitnahme-Effekt brauchen wir nicht“, sagte Tischler. „Wir suchen Menschen, die kreativ sind, und Vermieter, die auch mal ein Wagnis eingehen“, erklärte er weiter. „Das ist ein kleinteiliger Kampf. Der finanzielle Schmerz beim Immobilienbesitzer muss erst richtig groß sein, ehe er sich bewegt“, ergänzte Heuchert.
„Es klappen mehr Sachen, als schiefgehen“
Dr. Jan Heinisch, Staatssekretär im Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen
Auch Heinisch pflichtete bei: „Da muss man oft bei den Vermietern dicke Bretter bohren, bis diese verstehen, dass leere Immobilien schlimm für das Stadtbild sind, aber auch für sie selbst.“ Meist seien die Immobilienbesitzer jedoch keine Profis. „Nach drei Pleiten haben sie die Nase voll“, so Heinisch. Ganz wichtig sei das gemeinsame Gespräch von Stadt, Vermietern und Interessenten. „Es klappen mehr Sachen, als schiefgehen“, machte er Mut.
Christoph Schultz, Bürgermeister von Erkrath, meldete sich aus dem Publikum zu Wort: „Es ist ganz schwer, alle Beteiligten zusammenzuführen“. Die Zusammenlegung von mehreren Läden, um die Attraktivität zu erhören, wie bei dem Expertengespräch gefordert, sei meist so gut wie unmöglich.
Klar wurde an dem informativen Abend auch, dass das Auto nicht aus der Innenstadt verbannt werden darf. „Alle Verkehrsteilnehmer müssen Platz haben“, sagte Heinisch. „Bei dem hohen Altersdurchschnitt im Kreis können Sie nicht erwarten, dass ein alter Mensch noch mit dem Lastenrad einkaufen fährt. Wir dürfen auf keinen Fall alle Parkplätze in der Innenstadt rasieren.“
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