Interview mit Helena Melnikov DIHK

Aus der IHKInterview mit Helena Melnikov DIHK

Energiekosten, Fachkräftemangel, steigende Zölle – die deutsche Industrie steht unter Druck. Droht eine neue Phase der Deindustrialisierung oder befinden wir uns nur in einer vorübergehenden Krise? DIHK-Hauptgeschäftsführerin Helena Melnikov ordnet die Lage ein und zeigt auf, welche Weichen jetzt gestellt werden müssen.

Interview: Christina Rothe, Magazin „Junge Wirtschaft“ der WJD, Fotos: Werner Schuering
Frau Melnikov, Sie haben zum Jahreswechsel die Hauptgeschäftsführung der DIHK übernommen. Wie sind Sie persönlich ins neue Jahr und in Ihre neue Aufgabe gestartet?

Mit sehr viel Elan und dem nötigen Respekt vor der großen Aufgabe. Es ist eine besondere Situation, gleich in den ersten 50 Tagen mit einer Neuwahl des Bundestages und der neuen Trump-Administration zu starten. Hinzu kommt für die deutsche Wirtschaft wahrscheinlich das dritte Jahr Rezession in Folge – ein einmaliger Vorgang in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Das ergibt sich aus der aktuellen Konjunkturumfrage der DIHK, bei der mehr als 23.000 Unternehmen mitgemacht haben. Die Ergebnisse waren extrem ernüchternd. Das treibt mich in besonderer Weise an, diese Lage zu ändern. Dafür sehe ich mich hier am richtigen Platz. Die DIHK vereint die gesamte deutsche Wirtschaft – vom Kiosk über den Mittelstand bis zum Konzern – das ist einmalig und mit unserem Netzwerk aus 79 IHKs vor Ort und 150 Standorten über die AHKs weltweit kaum zu toppen. Ich bin daher sehr motiviert und optimistisch, dass, wenn es jemanden gibt, der das heben kann, wir es sind. Wir werden als Stimme der deutschen Wirtschaft laut und deutlich hörbar sein.

In der Debatte um den Wirtschaftsstandort Deutschland wird gehäuft von einer beginnenden Phase der Deindustrialisierung gesprochen. Wie ernst ist die Lage – stehen wir vor einem echten Strukturwandel oder einer vorübergehenden Krise?

Die Lage ist ernst. Da gibt es nichts schön zu reden. Wir erwarten 2025 ein Minus des Bruttoinlandsprodukts von 0,5 Prozent. Die Gründe dafür sind auch hausgemacht in Brüssel und Berlin, teilweise aber auch außerhalb unserer Sphäre in außenpolitischen Ereignissen. Aktuell kommt leider alles zusammen, ein „perfect storm”. Die gute Nachricht ist, dass wir es bei den hausgemachten Themen auch selbst in der Hand haben, die Zügel herumzureißen. Auf EU-Ebene gibt es mit den Omnibusgesetzen jetzt immerhin schon mal einen ersten Hoffnungsschimmer, dass sich die Politik in die richtige Richtung bewegen könnte. Aber da muss noch mehr passieren. Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und des Standorts Deutschland muss jetzt oberste Priorität haben. Wir haben hierzulande das Glück, auf einem breiten Mittelstand aufzubauen. Die Unternehmen haben eine tiefe Verwurzelung in ihrer Region. Die meisten von ihnen sind trotz bedauerlicher Abwanderungen und Insolvenzen noch da. Auf diese Betriebe muss die Politik setzen, wenn unsere Wirtschaft wieder wachsen soll. Und das wollen wir alle. Das braucht der Wirtschaftsstandort Deutschland. Nun kommt es darauf an, schnell eine stabile und handlungsfähige Regierung zu bilden, die Wirtschaft zur Priorität macht, Wachstum ermöglicht und unternehmerische Freiheit stärkt.

Unternehmen sehen sich mit hohen Energiekosten, Fachkräftemangel und geopolitischen Unsicherheiten konfrontiert – verstärkt durch neue US-Zölle. Welche dieser Herausforderungen gefährden die Wettbewerbsfähigkeit am meisten? Wie können kurzfristige und langfristige Lösungsansätze aussehen?

Gerade die Vielzahl der Baustellen macht die aktuelle Situation so herausfordernd. Es gibt so viel zu tun, dass die neue Bundesregierung viele Herausforderungen gleichzeitig angehen muss – und das so schnell wie möglich. Dazu gehören Entlastungen der Unternehmen bei Steuern und Energiekosten, Bürokratieabbau, Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel und schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Regulierung sollte unternehmerisches Engagement ermöglichen und ermutigen, darf es aber keinesfalls ersticken. So empfinden aber viele Unternehmerinnen und Unternehmer inzwischen unser Regelungsdickicht. Deshalb müssen sich Politiker jetzt auf einen Perspektivwechsel einlassen: Unsere Wirtschaft wird blockiert durch den Versuch, alles durch detaillierte Regulierungen in vermeintlich richtige Bahnen lenken zu wollen. Das Gegenteil ist aber richtig: Die Politik muss Vorschriften abbauen – also mutig ganz viel streichen und weglassen. Denn nur so bekommen die Unternehmerinnen und Unternehmer den Freiraum zurück, den sie für Fortschritt, Wachstum und Innovation so dringend brauchen.

Sind alle Branchen gleichermaßen betroffen, oder gibt es Industriezweige, die trotz der genannten Probleme wachsen?

Nur wenige Branchen können mit positiven Zahlen aufwarten, dazu gehört unter anderem die Pharma-Industrie. Der Breite der Industrie und auch der Gesamtwirtschaft geht es schlecht. Das bestätigt auch unsere aktuelle Konjunkturumfrage, an der sich Unternehmen aus allen Branchen und Regionen beteiligt haben. Sie zeigt ein sehr negatives Stimmungsbild: Fast jedes dritte Unternehmen blickt negativ in die Zukunft. Nur 14 Prozent erwarten eine Verbesserung in den kommenden zwölf Monaten. Fast die Hälfte der Unternehmen schätzt ihre Finanzlage als problematisch ein, ein Drittel muss Investitionen verringern. Als größte Geschäftsrisiken nannten die meisten Unternehmen erstmals die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen an oberster Stelle.


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